Afrika und sein Abfall – Müllrecycling in Sierra Leone
Von Roland Brockmann, Bo /Sierra Leone
Als ich mit dem einheimischen Freund einer Hilfsorganisation einst durch die Savanne Tansanias fuhr und dieser achtlos seine leere Wasserflasche aus dem Fenster warf, wollte mein westliches Umweltgewissen ihn sofort belehren. Doch er entgegnete nur: “Siehst Du die Kinder dahinten, die werden sich gleich darauf stürzen.”
So können sich Perspektiven unterscheiden: eine weggeworfene Plastikflasche als wertvolles Haushaltsgefäß oder wenigstens Kinderspielzeug. Eine kleine Lektion für mich, den Mzungu, den Fremden.
Trotzdem: Das urbane Afrika, vor allem in den Slums, gleicht einem Dumpingplace. Und zwar nicht nur für ausgelagerten Schrott aus dem Westen. Der meiste Müll ist dann doch hausgemacht.
Eigentlich sollte man meinen, Länder mit weniger Kaufkraft würden auch weniger Müll erzeugen. Wer durch Afrika reist, erlebt etwas anderes: vor allem eine Flut von Plastiktüten. Nationalflowers nennt man im Norden Somalias ironisch die bunten Tüten, die sich dort in den Dornbüschen auf ewig verfangen – Wetter wie gesellschaftlichem Wandel trotzend. Plastik vergeht eben nicht.
Es sei denn, man verbrennt es, und so schwelt das Zeug an jeder afrikanischen Ecke vor sich hin, denn eine öffentliche Müllabfuhr gibt es dort kaum, dafür jede Menge illegaler Deponien, auf denen Kinder nach Verwertbarem suchen, sich Ratten tummeln und Krankheitserreger ausbreiten.
Und so war es auch in der kleinen Stadt Bo in Sierra Leone, bis die Abfallpioniere begannen dort aufzuräumen. In dem von der Welthungerhilfe geförderten Projekt holen junge Leute jetzt auf motorisierten Tricycles den Müll direkt bei den Haushalten ab – und werden dafür von den Bewohnern bezahlt. Vor allem aber sortieren sie den Abfall: Flaschen, Dosen, Plastik werden recycelt. Denn es gibt dankbare Abnehmer, wie etwa den gelernten Schmied Alfred Muana:
Waste General nennt der sich stolz. Aus weggeworfenen Aludosen macht er Töpfe und Pfannen, günstiger als die importieren aus China. Ein gutes Geschäft erzählt Alfred, während er die Dosen einschmilzt und in einfache Formen aus Sand gießt.
Und Alfred ist nicht der einzige, der Gewinn aus dem Abfall schöpft: Sein Nachbar, der Schneider Francis Gdondo, näht aus Plastiktüten trendige Umhängetaschen: afrikanisches Design statt westlicher Importware. Selbst der Restmüll wird noch verwertet, daraus macht etwa das Ehepaar Alice und Charles Boyle am Ende organischen Dünger.
Eine kleine Verwertungskette auf lokalem Level. Natürlich wäre es sinnvoller, Aluminiumbüchsen oder Plastiktüten gleich zu verbieten, so wie vor einigen Jahren bereits in Ruanda. Dort gibt es sogar eine Plastiktüten-Polizei; Ruandas Hauptstadt Kigali gilt als sauberste Stadt Afrikas. Selbst Touristen dürfen keine Plastiktüten einführen.
Ein Vorzeige-Model des afrikanischen booming state: Andere afrikanische Länder wie Uganda oder Kenia versuchten sich mit ähnlichen Initiativen, doch schnell entwickelten sich dort Schwarze Märkte für die offensichtlich so begehrten Tüten. Und wer heute in Nairobi Pommes im Imbiss kauft, dem drückt man noch immer eine Plastiktüte heißer Fritten in die Hand. So wollen es scheinbar die Kunden. Fish and Chips, eingewickelt in Zeitungspapier? No.
Der ganze Müll ist vor allem ein Problem der Städte. Er entsteht nicht zuletzt aufgrund der Landflucht. Immer mehr Menschen leben nicht mehr vom eigenen Anbau, sondern urbanen Jobs, meist als Tagelöhner – und konsumieren Fastfood. Angesagt sind westliche Konsumprodukte, poppige Verpackungen, die dort eben auch ein gewisses Gefühl von Wohlstand oder Teilnahme an einem modernen Lebensgefühl suggerieren, gerade bei jungen Leuten. Ohne dass es entsprechende Entsorgungssysteme gebe.
Von Bo aus reiste ich in die Palmölanbaugebiete von Sierra Leone, aufs Land. In Gegenden, wo es nicht mal einen kleinen Shop gibt. Wo nirgends Müll herumliegt, weil es schlicht keine Verpackungen gibt; Wasser aus dem Brunnen kommt, Kaugummi Seltenheitswert hat. Wo man sich über jede Pet-Flasche freute, die ich dort zurück ließ. Vor allem die Kinder.
—
© Roland Brockmann, 2015 – www.rolandbrockmann.de